Softwareauswahl-Entscheidungen: Standardprozesse als Basis für ein individuell zusammengestelltes Vorgehensmodell

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on xing

Softwareauswahl-Prozesse

begegnen Managern und ihren Mitarbeitern in den unterstützenden Funktionsbereichen meist
nicht wörtlich „regelmäßig“, aber sicherlich immer mal wieder. Eine selbstgestrickte
IT-Lösung soll beispielsweise in einen soliden Standard überführt werden. Oder
mit Office-Lösungen produzierte Zettelwirtschaft auf einem „Laufwerk“ soll
abgeschafft werden. Neue Management- und Fachkonzepte sollen
automatisiert und vor allem „digital“ umgesetzt werden. Oder die vor vielen
Jahren eingeführte An-sich-solide-Lösung, die auch aktuelle Anforderungen mehr
oder weniger abdeckt wird seitens Ihres Herstellers nicht mehr weiterentwickelt
bzw. gewartet – ein gerade für wichtige betriebswirtschaftliche Prozesse nicht
haltbarer Zustand.

Bleiben wir gedanklich nun bei Entscheidungen zu erfolgskritischen betriebswirtschaftlichen Prozessen wie beispielsweise Lösungen für das Management von Online Shops, für das Personalmanagement oder die Unternehmenssteuerung. Um zur Automatisierung derartiger Prozesse die „richtige“ Entscheidung treffen zu können sollte ein reifes methodisches Instrumentarium im eigenen Hause oder am Markt verfügbar sein. In der Tat lassen sich problemlos zahlreiche Standard-Softwareauswahlprozesse recherchieren, die in aller Regel dem hier beispielhaft dargestellten zumindest nicht unähnlich sind:

 

Markus Hees

 

Typischer Standard-Softwareauswahlprozess

Zum typisch ausgeprägten Softwareauswahlprozess:

Im Beispielprozess wird zunächst von einer „Longlist“ ausgegangen, die im Grundsatz sämtliche am jeweiligen Markt verfügbaren Produkte beinhalten kann. Zur Reduktion der
Longlist werden nun spezifische Kriterien definiert und gewichtet, die die
Anforderungen an das Produkt in seinem Bestimmungszustand repräsentieren. Der
Erfüllungsgrad dieser Anforderungen wird im nächsten Schritt erhoben. Dies kann
beispielsweise geschehen mittels

  • Online-Research zu den relevanten Produkten
  • Fragebögen die an die Anbieter versendet werden
  • Nutzung von Studien oder Einbeziehung von Experten spezialisierter Institute und
    Dienstleister.

Aus den ermittelten Anforderungs-Erfüllungsgraden
und -Gewichtungen ergibt sich nun als Ergebnis eines im Kern „mathematischen
Ansatzes“ eine Rangfolge der Produkte. Die Produkte „auf den ersten Plätzen“ befinden
sich weiterhin „im Rennen“ und sind somit auch auf der neuen Shortlist präsent.
Für diese geringere Anzahl an Produkten werden nun Live-Demo-Termine (oft „Show-Cases“
genannt) durchgeführt, in denen der Anbieter oder ein Dienstleister mit spezialisiertem
Implementierungs-Know-How das jeweilige Produkt auf Basis der Anforderungen vorführen.
Basierend auf den Eindrücken aus diesen Live-Vorstellungen wird nun ein
„Sieger“ gekürt, mit dessen Hersteller abschließend hoffentlich erfolgreiche
Verhandlungen zu Lizenzen usw. geführt werden.

Grenzen von Standardprozessen:

So weit – so gut. Und im Grundsatz sicherlich auch schlüssig. Was aber wenn einer oder mehrere der folgenden Punkte zutreffen?

  • Es gibt zu Beginn bereits ein klar favorisiertes Produkt, z.B. weil die IT-Strategie auf
    einen bestimmten Anbieter fokussiert oder Austauschpartner in anderen
    Unternehmen es empfehlen – zugleich wird aber Wert auf einen sauberen, dokumentierten und nachvollziehbaren Auswahlprozess gelegt (wegen Compliance, interner Nachfragen, etc.)
  • Research-Ergebnisse zur Reduktion der Longlist decken die eigenen Kriterien nicht ab, d.h. wichtige Informationen sind nicht für alle Produkte auf diesem Weg verfügbar
  • Fragebögen die versendet wurden werden von einigen Anbietern sehr „vertriebsmotiviert“ oder nicht hinreichend detailliert beantwortet
  • Mit dem eigentlichen „Sieger“ des Prozesses wird zuletzt keine befriedigende
    kommerzielle Einigung zu Lizenzkosten o.ä. erzielt
  • Es kristallisiert sich heraus dass die Zurverfügungstellung eines geeigneten externen
    Implementierungsteams eine Herausforderung darstellt
  • Es fehlt schlicht und ergreifend an der Zeit um den vollumfänglichen Standardprozess
    durchzuexerzieren ohne die Zeitplanung des gesamten Projektvorhabens zu
    gefährden
 

Die Lösung – Ein pragmatischer, individuell definierter Auswahlprozess:

Der dargestellte – aber auch andere – Standardprozesse liefern hier nicht immer die gewünschten Ergebnisse (im Sinne von Entscheidungsqualität und benötigter Zeit) oder sind
nicht wirklich effizient bei der Generierung der Ergebnisse. Empfehlenswert ist daher, sich die Elemente typischer Standardprozesse vor Augen zu führen und diese situationsspezifisch sinnvoll zu einem eigenen und in die Situation passenden Auswahlprozess zu kombinieren. Die Elemente sind bereits bekannt:

  • Longlist und Shortlist
  • Anforderungen, repräsentiert durch einen Katalog gewichteter Kriterien
  • Fragenkatalog an die Anbieter
  • Showcases, d.h. Live-Vorstellungen der Produkte
  • Verhandlungssituationen zum Produkt selbst, aber auch zu benötigten Konzeptions- und Implementierungsleistungen

Zur Long- und Shortlist:

In vielen Fällen ist es
sinnvoll und legitim, auf eine Longlist zu verzichten. Oft kommen auch in
reifen Märkten für Unternehmen bestimmter Branchen oder Größenordnungen nur
eine Reihe von Produkten in Frage oder es herrscht eine qualifizierte Vermutung
vor, welche Produkte zu den eigenen Anforderungen passen könnten. In solchen
Fällen kann bereits mit einer Shortlist in den Prozess gestartet werden. Auch
die Betrachtung nur eines Produktes kann in Einzelfällen sinnvoll sein, wenn
die Compliance-Regeln dies zulassen. Es muss aber allen Beteiligten bewusst
sein dass dann eine ggf. nachträgliche Erweiterung des Betrachtungsraumes
erforderlich ist, wenn kein geeignetes Produkt über einen derart abgekürzten
Prozess identifiziert werden konnte – dies mit allen Auswirkungen, insbesondere
auch auf die Zeitplanung des Gesamtprojekts.

Zu Anforderungen und
Kriterienkatalogen:

Es ist empfehlenswert die
Anforderungen an eine IT-Lösung effizient während der Konzeptphase gewissermaßen
als „Derivat“ der Konzeptarbeit in einem Kriterienkatalog zu dokumentieren.
Z.B. in einem abschließenden Workshop kann dann der finale Schliff erfolgen. In
der Struktur eines solchen Kataloges sollten nicht nur funktionale Anforderungen
berücksichtigt werden. Auch kommerzielle Aspekte, Fit zur eigenen IT-Strategie,
Roadmap des Produktanbieters (und somit Investitionssicherheit) usw. sind
wichtige Kriterien.

Besonderes Augenmerk sollte
Kriterien gelten, die für das eigene Projekt „Knock-Out-Charakter“ haben (z.B.
Verfügbarkeit Cloud oder On-Premise, Reifer Markt für Umsetzungsberater um
autonom agieren zu können, globale Online-Verfügbarkeit von Eingabe- und
Bedienungsfrontends, etc.). Knock-Out Kriterien sind geeignet Produkte auf der
Long- oder Shortlist schneller auszufiltern und können somit zu einer Beschleunigung
des Auswahlprozess beitragen. Zugleich entziehen sich echte
„Knock-Out-Kriterien“ der sonst gerne verwendeten Gewichtung von Kriterien
logisch. Knock-Out ist eben K.O..

Fragenkatalog an die
Anbieter:

Insbesondere wenn die
Reduktion einer größeren Zahl von Produkten von der Longlist auf eine Shortlist
hin angestrebt wird kann ein Fragebogen der hierzu an die Anbieter versendet
wird hilfreich sein.  Lücken bei den
vorliegenden Produktinformationen können damit geschlossen werden und ein
erstes Filtern der Longlist ohne physische Präsenztermine kann möglicherweise
auf dieser neuen Informationsbasis erfolgen. Erfahrungsgemäß werden beim
Versand an mehrere Anbieter Rückläufer mit sehr heterogener Antwortstruktur und
entsprechend unterschiedlicher Aussagekraft zurückerhalten, insofern sollte man
davon Abstand nehmen die Informationserhebung über einen Fragenkatalog zum
zentralen Dreh- und Angelpunkt eines Auswahlprozesses zu erheben. Um die
Kompetenz eines späteren Umsetzungspartners zu evaluieren oder wichtige „Best
Practices“ zur Lösung zu erfahren können in einem solchen Fragebogen auch Empfehlungen
oder Stellungnahmen des Anbieters punktuell zu Einzelthemen abgefragt werden.

Zu Showcases:

Im Grundsatz können Showcases bereits gegen Ende einer Konzeptphase durchgeführt werden, wenn die Anforderungen wie beschrieben parallel zur Konzeptarbeit erhoben wurden. Es hat sich bewährt die Anforderungen in einem Briefing zu integrieren, dass als
„Drehbuch“ für den Showcase an die Anbieter versendet wird. Es empfiehlt sich
dabei zum eigenen Vorteil, das Briefing mit einem fairen zeitlichen Vorlauf zu
den Showcase-Terminen zu versenden, um allen Anbietern die Möglichkeit zu einer
sauberen und vor allem auf die spezifischen Anforderungen fokussierten Vorbereitung
zu geben. Andernfalls drohen „Standard-Demos“ für Enttäuschung zu sorgen, da diese
nur begrenzt die eigenen Anforderungen spiegeln.

In den Showcases selbst sollten Business, Fachseite und die eigene IT-Organisation repräsentiert sein, um gemeinsam zu einer Entscheidung zu kommen. Der ursprüngliche Kriterienkatalog kann als Vorlage für eine Unterlage dienen, in der alle Teilnehmer Ihre Eindrücke zur späteren Konsolidierung und Diskussion dokumentieren können.

Die „Vorführung“ in Showcase-Terminen erfolgt in einigen Fällen durch den IT-Anbieter selbst, in anderen durch einen spezialisierten Umsetzungsdienstleister. Idealerweise
erfolgt die Vorführung jedenfalls vor allem durch designierte Mitglieder eines späteren
Umsetzungsteams, so dass die Möglichkeit besteht sich einen Eindruck von den
späteren Partnern in der Umsetzungsphase zu verschaffen – erfahrene Kunden legen hier Wert auf die Präsenz insbesondere eines designierten Projektleiters für die Umsetzungsphase.

Zu Verhandlungen:

Die Lizenzmodelle von IT-Anbietern in ein und demselben Lösungssegment unterscheiden sich erheblich. Zugrunde liegen unterschiedliche Parameter wie die Anzahl der Nutzer, das Umsatzvolumen des jeweiligen Kunden oder die zu verarbeitende Datenmenge. Diese Informationen müssen intern teils aufwändig zusammengetragen bzw. qualifiziert geschätzt
werden, was den Verhandlungsprozess zeitlich erheblich nach hinten schieben
kann. Empfehlenswert ist daher die frühzeitige Beschäftigung mit diesem Thema,
z.B. sobald das Niveau einer Shortlist erreicht wurde und entsprechend nur noch
mit „einer Handvoll Anbieter“ gesprochen werden muss. Erfahrungsgemäß schadet
es der Entscheidungsfindung, wenn wesentliche kommerzielle Informationen erst Wochen
nach durchgeführten Showcases vorliegen.

Fazit:

Gute Softwareauswahlprozesse beinhalten nur die in der eigenen Situation  konkret benötigten Elemente um von „Gesamtmarkt“ auf „Sieger“ zu kommen. Dies sollten in einer sinnvollen Sequenz und zeitlichen Taktung angeordnet sein. Es lohnt also meist darüber nachzudenken wie ein Standard-Softwareauswahlprozess für die eigene Situation so umgebaut werden kann, dass schnellere und von Ihrer Informationsbasis her qualitativ hochwertigere Entscheidungen gefällt werden können. Zudem existieren eine Reihe bewährter „Best Practices“ die
genutzt werden können um in einem effizienten Prozess zu einer sehr guten
Entscheidungsqualität zu kommen.